The First Minutes of October
Christoph Weber

304 Seiten
Verlag für moderne Kunst Nürnberg
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( > text see below)

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Christoph Webers Buch “The First Minutes of October” dokumentiert seine
gleichnamige Arbeit, die 2007 entstanden ist und sich auf Sergei Eisensteins Film,
“Oktober” aus dem Jahr 1927 bezieht, der wiederum die Ereignisse der
Oktoberrevolution 1917 zum Thema hat.
“The First Minutes of October” ist eine grossformatige Wandarbeit, die eben die
ersten Minuten von Eisensteins Films grafisch analysiert.
Dieser beginnt mit einer aus einer Vielzahl von Kameraperspektiven gedrehten Szene,
dem Sturz der Statue des Zaren Alexanders III.

Weber hat die dazu notwendigen Kameraeinstellungen in einem 3D-Computerprogramm
rekonstruiert und überlagert und die so entstehenden Blickpyramiden ergeben,
wieder in zwei Dimensionen gebracht eine ausufernde unregelmässige Sternform,
die den Knalleffekt des kinematografischen Experiments ebenso in sich trägt wie
sie dem revolutionären Ausbruch eine explosionsartige Form verleiht, die
ikonografisch und inhaltlich aber natürlich auch an den regelmässigen roten
Sowjet-Stern denken lässt. Diese Sternform hat Christoph Weber aus schweren
Stahlplatten an die Wand montiert, drei mal vier Meter gross wirkt sie
monumental und bedrohlich, auf Fotos aber wie mit Wasserfarben an die Wand gemalt.

Es ist sehr klein, kleiner als handelsübliche Taschenbücher und hat etwa 300 Seiten.
Es enthält mehrere Abbildungen der Wandarbeit “The First Minutes of October”,
aber irgendwie sind diese alle zu gross für das Buch. Das erste Foto scheint sich
gleich am Cover zu befinden, aber wenn man die Folie aufreisst, in die das Buch
eingschweisst ist, löst sich das Bild vom Buch und erweist sich als Plakat,
das mehrmals gefaltet die achtfache Grösse des Buches erreicht. Tatsächlich ist
das Cover weiss, das Motiv des unregelmässigen Sterns ist darin eingeprägt.
Im Buch schliesslich wechseln sich unterschiedliche Formen des Umgangs mit Bildern ab.
Es beginnt konventionell linear, indem auf den ersten fünfzig Seiten Standbilder
aus Eisensteins Film die Anfangsszene nachvollziehbar machen und somit einleitend
klarstellen, worum es gehen soll.

Weiter hinten im Buch befindet sich eine Sequenz Seiten, die scheinbar 18 ganzseitige
Detailaufnahmen der Wandarbeit zeigt. Tatsächlich handelt es sich dabei um gerade
2 Fotos, die aber jeweils auf mehrere Seiten fragmentiert sind – der Raum im Buch
reicht einfach nicht aus.

Schliesslich treffen wir – ein Gespräch mit Christoph Weber illustrierend – auf
eine grössere Anzahl etwa fingernagelgrosser Schwarzweissbilder, die wie Fussnoten
funktionieren und teilweise an anderen Orten im Buch vorkommende Bilder wiederholen.
Im Vergleich dazu sind die Seiten plötzlich riesenhaft und könnten locker noch
viele weitere Bilder, Verweise, Referenzen beherbergen – tatasächlich fallen einem
als Leser auch jede Menge weitere Bilder dazu ein.
Was also sind die räumlichen Parameter eines Buches? Es ist immer zu klein, der Inhalt
quillt an den Kanten heraus, verbindet sich mit unserem Wissen und unseren
Erfahrungen. So ist die Umsetzung einer grossformatigen, monumentalen Wandarbeit
in ein unprätentiöses Taschenbuch eine Übung in Verdichtung und in Expansion.

Zwei Texte und ein Gespräch kreisen um die Arbeit, weiteres Material ist darum oder
dazwischen angeordnet. So hat Christoph Weber eine Recherche durchgeführt zu
Werken anderer Künstler und Künstlerinnen, die unregelmässige Sterne enthalten.
Er hat Freunde und Bekannte gebeten, diese zu dokumentieren, wenn ihnen welche
unterkommen – in Ausstellungen etwa. Aus dem daraus entstandenen umfangreichen Archiv
hat er schliesslich eine Handvoll Beispiele ausgewählt, die einen weiteren
Bildteil des Buches ausmachen.
All diese Elemente ergeben ein erstaunlich kohärentes Buch, das die Arbeit dokumentiert,
erweitert und neu erfindet, und den Ausstellungsraum eintauscht gegen die Intimität der
Manteltasche oder des Lesesessels.